… macht sich von allein …

Folgenden Gedanken kenne ich sehr gut aus der Zeit, in der ich noch Vollzeit gearbeitet habe: wie hoch kann denn die Belastung des Elternteils schon sein, der sich zu Hause um die Kinder kümmert? Damals hatte ich sehr wenig Verständnis dafür, daß meine Frau abends total am Ende war. Und das nur weil sie den ganzen Tag mit unserem Kind verbracht hat. Dabei war die Wohnung nicht einmal besonders aufgeräumt, eher im Gegenteil. Kinder schlafen doch tagsüber viel, das sollte einem doch genug Freiheit geben zu entspannen oder halt eben Hausarbeit zu erledigen. Gestresst und genervt in einer chaotischen Wohnung zu sitzen wollte nicht so recht in mein Weltbild passen. Schließlich kam ich als Projektleiter von einem Arbeitstag nach Hause, in dem ich von einem Termin zum anderen raste und nur ab und zu mal zum Kaffee trinken oder Essen an die Wasseroberfläche kam. Kurz Luft schnappen. Mein Arbeitsalltag war als Berufstätiger hoch effizient durchgetaktet, das bilde ich mir zumindest ein. Alles hatte seinen Platz und seinen Zeitpunkt, alles wurde geplant und dann auch so durchgeführt. Und dann dieser Zustand zu Hause …

Seitdem ich in Elternzeit zu Hause bin und meine Frau arbeitet hat mein Tag sehr viel an Effizienz verloren. Und, oh ja, ich habe versucht die Effizienz auch auf zu Hause zu übertragen. Schließlich hatte ich nicht selten das Gefühl, daß mit ein bisschen mehr Koordination und Planung auch meine Frau abends nicht ganz so über den Tag hätte stöhnen müssen. Ich war überzeugt meinen Alltag als Projektleiter gewinnbringend auf zu Hause übertragen zu können. Die Einleitung legt nahe, daß ich zumindest an einigen Punkten eines besseren belehrt wurde. Denn auch wenn die Aufgabe als Projektleiter sehr viel Ähnlichkeit mit meiner Situation als Vater zu Hause hatte, so gibt es einen gravierenden Unterschied: Projekte sind planbar oder lassen zumindest die Illusion zu auf gewisse Weise planbar zu sein. In den meisten Fällen ist es sogar so, daß die Projektmitarbeiter es schätzen, wenn Dinge geplant, besprochen und gemäß der Planung durchgeführt werden. Mein Sohn jedoch lehnt jede Art von extrinsischer Planung ab. Und das obwohl die Vorraussetzungen im Grunde gar nicht so schlecht wären. Im Leben meines Sohnes gibt es zwei wesentliche Aggregatzustände: schlafend und nicht schlafend. Die Möglichkeiten Dinge zu planen oder auch zu erledigen orientieren sich sehr stark an diesen Zuständen. Das klingt doch eigentlich relativ simpel.

Aggregatzustand „schlafend“. Wenn mein Sohn nicht schläft, dann konzentriere ich mich weitestgehend auf ihn. Schließlich ist er der Grund warum ich zu Hause bin. Dinge zu tun, die ihn nicht mit einbeziehen, ist allerdings sowieso fast nicht möglich: Arbeiten, telefonieren oder was auch immer einem so tagsüber einfällt kurz tun zu müssen. Ganz nebenbei erwähnt machen solche Dinge auch überhaupt keinen Spaß wenn er wach ist. Man wird am Ende weder dem Kind noch der Aufgabe gerecht. Ich habe eine gewisse Zeit gebraucht das zu verstehen und meinem Gehirn in den Wachphasen meines Sohnes das Gefühl zu geben, daß es nicht gebraucht wird. Und daß das so auch ok ist. Nachdenken lenkt nur ab. Hat man es jedoch geschafft das Gehirn auszulassen, dann gibt es viele schöne und überraschende Momente. Momente, in denen man plötzlich beobachtet, was das eigene Kind auf einmal schon kann (alleine stehen, Lego zusammen stecken, oder ähnliches). Momente, in denen mein Sohn zu mir krabbelt und zur Entspannung seinen Kopf auf meinem Bauch oder meinem Bein ablegt. Momente, in denen einem das Kind zeigt, daß man in der Situation ruhen und glücklich sein kann, ohne, daß man danach ein offensichtliches Ergebnis vorweisen können muss. Momente, in denen der Kleine sich über irgend etwas köstlich amüsiert, und zwar auch noch nach der 10 ten Wiederholung. Alles Dinge, die ich erst mit der Zeit verstanden habe und heute umso mehr geniessen kann. Das schöne an den Wachphasen ist, daß Zeit und Ergebnis keine Rolle spielen.

Die Herausforderung an den Wachphasen ist, daß Zeit und Ergebnis keine Rolle spielen. Es ergibt also überhaupt keinen Sinn zu versuchen eine Planung aufzustellen. Am Ende kommt es doch immer anders. Ich bin mir zwar sicher, daß mein Sohn in den meisten Fällen ziemlich genau weiss was er will. Allerdings ist das weder vom Ablauf noch vom Ziel her durch mich steuerbar. Am Ende zählt das Ergebnis, das heisst wenn der Papa das macht was man will, dann ist das gut. Wenn nicht, dann ist das schlecht. Um es einfach mal konkret auf den Punkt zu bringen: zu Hause ist mein Sohn der Projektleiter und ich versuche als Mitarbeiter mit einem Großteil meiner Zeit die Projektziele zu verstehen. Mit dem verbleibenden Rest der Zeit setze ich die Dinge durch, von denen ich glaube, daß sie zwingend notwendig sind. Egal was mein Chef so sagt. Und dabei bleibt der Weg zum Ziel trotzdem stark durch meinen Sohn beeinflusst. In Summe also eine sehr ähnliche Situation zu Hause wie bei der Arbeit ….

Ja was gibt es denn durchzusetzen? Zum Beispiel leuchtet jedem ein, daß ein Kind etwas essen muss. Um dies zu erreichen ist es für mich nicht sinnvoll den Brei in der ganzen Küche zu verteilen und damit nur den einen Teil zu essen und den anderen wieder aufputzen zu müssen. Für meinen Sohn hat der Brei aus der Schüssel auch das Recht an jedem anderen beliebigen Ort der Küche zu sein. Und schließlich ist das Ziel von Essen ja nicht zwangsläufig satt zu werden, sondern die Frage ist viel philosophischerer Natur: was ist da in der Schlüssel und in welcher Beziehung steht es zu mir und dem Rest meiner Umwelt (inklusive meinem Vater)? Was gibt es an der Stelle dann also sinnvolleres als eine umfangreiche Versuchsreihe zu starten?

Ähnlich ist es beim Wickeln. In den ersten Monaten kann sich ein Baby naturgemäß noch nicht so viel bewegen. Das erleichtert das Wickeln ungemein. Klar wurde mir das allerdings erst, als die Bewegungsmöglichkeiten zunahmen und ich ein immer stärker zappelndes Kind vor mir auf dem Wickeltisch liegen hatte. Aus Sicht des Baby’s potenziell sinnvoll, schließlich ist auf dem Rücken liegen ziemlich langweilig und daher alles willkommen was auch nur ein bisschen Ablenkung verspricht. Außerdem verhält sich der Papa echt lustig, denn die Katastrophe steigt mit zunehmender Beweglichkeit stetig an. Es nervt extrem, daß ständig alles verrutscht und man im Grunde immer wieder von vorne anfangen muss. Der Super Gau ist jedoch, wenn der Bewegungsdrang genau dann einsetzt, wenn die volle Windel gerade geöffnet da liegt. Und noch nicht weg geräumt ist. Meist landet dann nämlich ein Körperteil in der Windel und bewegt sich anschließend angebräunt konfus durch die Luft um das Ganze weiter zu verteilen. Im wahrsten Sinne des Wortes beschissen, aber irgendwann erreicht man sein Ziel: die Windel ist angezogen bzw. im ersten Beispiel das Kind ist „hoffentlich“ satt.

Zusammenfassend würde ich also meinen geistigen Zustand in den Wachphasen versuchen so zu beschreiben: durchgehend geistig unterfordert, mental jedoch ständig zwischen Über- und Unterforderung schwankend. Einer der Gründe, warum man zum Beispiel anfängt sich zu verabreden. Mit anderen Menschen in einer ähnlichen Situation. In der Hoffnung, dass Gespräche mit entsprechendem tiefergehenden Inhalt geführt werden können. Auch hier jedoch meist Fehlanzeige, denn zum Einen ist das Hauptthema in der Regel „Kinder“ und zum Anderen ist jeder sowieso ständig parallel mit einem Kind beschäftigt und damit nicht voll bei der Sache. Wachphasen sind also oft schön

Aggregatzustand „nicht schlafend“. Wie sieht es aber nun in den Schlafphasen aus? Hat man sich mit jemand anders getroffen und das Glück, daß alle Kinder schlafen? Glückwunsch, dann kann man endlich mal Gespräche mit Tiefgang führen (was man im übrigen im Arbeitsalltag deutlich häufiger tut). Das Glück hat man nicht? Glückwunsch, dann ist endlich Zeit sich zu entspannen und Dinge zu tun wie: Aufräumen (und das ist im Grunde nach jeder Wach-Phase nötig), Wäsche waschen, vielleicht auch einfach mal in würdiger Atmosphäre selbst etwas essen und dies sogar selbst gekocht zu haben. Auch immer wieder beliebt: Schlaf nachholen von der letzten Nacht, Einkaufszettel schreiben (dessen Abarbeitung dann jedoch natürlich in einer Wachphase erfolgt) bzw. direkt online shoppen oder all die Dinge tun die liegen geblieben sind wie die Steuererklärung, die Suche nach einem geeigneten Kindergarten, Planung des Urlaubs, Überweisungen erledigen etc.. Alles Dinge, die gemacht werden müssen, die einen aber weder besonders fordern noch standing ovations von irgend jemandem hervor rufen. Also versucht man sich weitere Dinge in die Schlafphasen zu integrieren.

Nach der einleitenden Aufzählung wird klar, daß ein Kind entweder sehr lange schlafen muss oder bestimmte Dinge halt nicht komplett erledigt werden können. Entweder man legt die Priorität auf geistige Herausforderungen oder auf den häuslichen Frieden… Nehmen wir mal an man ist egoistisch genug in den Schlafphasen der Kinder ausschließlich auf sich zu achten. Selbst dann bleiben einem am Tag zwischen 2 und 3 Stunden, in denen man sein Gehirn herausfordern und Dinge tun kann, deren Ergebnis man danach stolz betrachten kann. Im Vergleich zu einem normalen Arbeitsalltag ist das sehr wenig. Hinzu kommt, daß man die ganze Zeit auf Abruf ist, weil das wache Quäken aus dem Schlafzimmer im Prinzip jederzeit ertönen könnte. Unplanbar… Und es führt dazu, daß man Dinge meistens nicht am Stück fertig machen kann, sondern immer wieder neu aufsetzen muss.

Aber, trotz vielen Unterbrechungen ist es doch möglich Dinge zu tun, die einem das Gefühl geben etwas erreicht zu haben. Nicht jeden Abend. Aber das hat man ja auch nicht wenn man arbeitet. Und an diesen Abenden hat man die notwendige innere Ruhe, wenn man …

… dann abends so da sitzt und beide Kinder (mittlerweile ist ja auch der Große mit Bombenlaune aus dem Kindergarten geholt) rum stänkern weil sie Hunger haben oder einfach nur müde sind.

… dann abends so da sitzt, der Partner nach Hause gekommen ist und sich gerade noch einen Kommentar verkneifen kann, warum denn nicht aufgeräumt und gekocht ist. Schließlich hat er den ganzen Tag gearbeitet und nun endlich mal seine Ruhe verdient. Und was genau wurde denn den ganzen Tag hier gemacht, wenn es nicht mal zum Aufräumen gereicht hat?

Und an den anderen Abenden sitzt man dann doch vielleicht nur so da und fragt sich: was genau habe ich heute eigentlich den ganzen Tag gemacht? Und warum genau bin ich körperlich so völlig am Ende, wenn mir auf die erste Frage so überhaupt nichts einfallen will? In solchen Momenten hilft es daran zu denken, daß man noch sein ganzes Leben lang aufräumen wird. Vielleicht reicht es ja auch erst damit anzufangen, wenn die Kinder dann mal aus dem Haus sind …