Tröpfchen-Infektion, das ist meine Welt. Gerade jetzt im Moment sitze ich zum Beispiel auf einem extrem gemütlichen Tröpfchen. Direkt in der Nasenhöhle von Leon. Kuschelig warm und feucht ist es hier. Und wenn man nur nah genug am Fenster sitzt, tja, dann sieht man hier sogar richtig etwas von der Welt. Gestern Abend und heute morgen hat mir Leon die gesamte Wohnung gezeigt. Ganz schön nett von ihm. Am schönsten fand ich sein Schlafzimmer und das große Bett. Kurz vor dem Schlafen gehen haben Leon’s Eltern dann allerdings nochmal ziemlich genervt. Sie wollten Leon’s Nase putzen. Ziemlich knapp war das, aber zum Glück sah ich das Taschentuch früh genug kommen und konnte mich noch fest halten. Festhalten wiederum ist gar nicht so einfach in einer Kindernase, es sind einfach zu wenig Haare da. Nun ja, der Vorteil ist hingegen, daß Kinder sowieso nicht so gut schnauben können. Die größte Gefahr geht in der Regel von ihren Eltern aus. Solange die fern bleiben ist meist alles in Ordnung. Und heute Nacht hatte ich dann mal so richtig meine Ruhe und konnte ausgiebig durch die Nasenhöhle sausen. Ohne dabei ständig hin und her gepustet zu werden. Am Morgen dann ein kurzer Aufreger, als es darum ging, ob Leon vielleicht besser zu Hause bleibt wegen seiner Schnupfennase. Diese Diskussion war zum Glück schnell erledigt. Schließlich wollten seine Eltern zur Arbeit. Und ohne Fieber oder Durchfall beschwert sich ja erst einmal im Kindergarten noch keiner über ein krankes Kind. Also ab in den Kindergarten, worüber ich sehr froh bin. Den ganzen Tag mit Leon zu Hause rum zu sitzen wäre mir echt zu langweilig geworden. Schließlich war ich so langsam auch lange genug bei Leon und es wäre mal wieder Zeit etwas Neues zu entdecken.

Also geht es ab in den Kindergarten und wie es der Zufall so will begrüßt uns Tom direkt beim Ankommen freudestrahlend. Tom scheint zu glauben, daß Worte kurze Wege brauchen. Er schiebt sein Gesicht bis auf wenige Millimeter an das von Leon heran. Mir soll es recht sein und ich ergreife die Chance. Mit dem nächsten Ausatmen lasse ich meinen lieben Leon los und sause geradewegs zu Tom hinüber. Bye bye Leon. Ich lande zwar leider nur auf der Hand von Tom, die eben noch einmal über Leon’s Nase gewischt ist. Aber halb so schlimm. Ich kann mir ziemlich sicher sein, daß Tom mich irgendwann ins Gesicht reibt. Und zwar bevor er Hände wäscht. Geduldig renne ich mit Tom dem kleinen Leon hinterher, der seiner Mama noch beim Gehen winken will. Da winke ich doch einfach mit. Beziehungsweise Tom winkt, ich halte mich fest. Ob ich Leon’s Mama noch mal wieder sehe? Na ja, vielleicht morgen beim Winken. Außer mir sind noch ein paar weitere aus meiner Familie auf Tom’s Hand gelandet. Ganz schön unpersönlich einfach nur von meiner Familie zu sprechen, ich weiß. Es tut mir auch leid, aber wir sind so viele, da kann ich mir unmöglich alle Namen merken. Trotzdem ist es immer sehr lustig alle im Morgenkreis im Kindergarten wieder zu treffen. Na ja, alle nun auch wieder nicht. Meine ganze Familie würde ja gar nicht auf die paar kleinen Menschen hier im Morgenkreis drauf passen. Und schließlich sind bestimmt ein paar von uns heute auch mit Kindern, Geschwisterkindern oder den Eltern einfach zu Hause geblieben. Aber bleiben wir mal bei Tom, denn hier habe ich noch den besten Überblick. Einige meiner Familie sitzen neben mir auf der Hand. Ein paar haben es direkt ins Gesicht oder gar in die Nase geschafft – Streber. Die ewigen Verlierer sitzen auf der Kleidung von Tom. Hmm, das wird schwer da wieder runter zu kommen. Die besten Chancen hat man dabei noch auf dem Ärmel, denn auch der wird ziemlich sicher mal im Gesicht abgeschmiert. Und genau da wollen wir ja letztendlich alle hin. Ins Gesicht, in den Mund oder in die Nase.

Im Morgenkreis singen wir heute „Der Herbst ist da“. Ich kann es nicht mehr hören. Aber leider lebt es sich halt vor allem in Herbst und Winter so richtig gut im Kindergarten. Sommer und Frühling sind mir irgendwie zu trocken, da fühle ich mich gar nicht wohl. Da mache ich quasi meinen Sommerschlaf und verpasse daher meistens die Sommerlieder. Das gute am Singen ist, daß man bei Langeweile den einen oder anderen Tröpfchen-Trip machen kann. Schließlich kommt es beim Singen öfter mal vor, daß auch ein bisschen Spucke den Mund verlässt. Aber Vorsicht, diese Trips sind nicht ganz ungefährlich. Schließlich kann es dabei schnell passieren, daß man auf dem Teppich landet und vergessen wird. Man kann ja viel von Kindern erwarten, aber daß sie ihr Gesicht auf dem Boden reiben passiert einfach zu selten. Also geht es dann nur noch über Zwischen-Stationen wie Kleidung oder Hände und Füße. Und das ist sehr mühsam und kann lange dauern. Ich mache sowas nicht. Dazu habe ich schon zu viele meiner Familien-Mitglieder beobachtet, wie sie sich auf dem Boden zu Tode langweilen. Ich bevorzuge die sichere Variante und warte lieber immer ab, bis ich ziemlich sicher auf ein anderes Kind, oder zur Not auf einen Erwachsenen umsteigen kann. An der Stelle sei erwähnt, dass Tom ein hervorragender Gastgeber ist. Beim Singen popelt er in der Nase und setzt mich damit genau dahin, wo ich hin wollte. Herrlich, ich bin im Paradies gelandet. Hier ist noch alles frisch und meine Familie hat sich auch noch nicht so richtig breit gemacht. Ran an die Arbeit. Ein Ort zum Wohlfühlen, auch wenn immer mehr meiner Familienmitglieder nachkommen. Tom hat sich zwar die Hände gewaschen, aber ohne Seife. Deswegen sind zwar leider ein paar von uns im Waschbecken gelandet, aber wirklich nur ganz wenige. Und Tom popelt fröhlich weiter und reibt sich immer öfter die Nase. Ich glaube er ahnt schon etwas…

Am Nachmittag ist es endlich soweit. Tom und ich werden abgeholt. Heute ist seine Mutter gekommen. Mittlerweile sind so viele meiner Familienmitglieder angekommen, daß ich kaum noch etwas von Tom’s Nase sehen kann. Aber egal, Tom wird ja wohl noch Geschwister haben. Da können wir uns dann wieder ein bisschen verteilen. Ich mag es überhaupt nicht in so überfüllten Räumen rum zu hängen. Die Mutter schaut Tom an und seufzt: „Tom, was hast Du denn schon wieder für eine Rotznase, hoffentlich wirst Du nicht krank.“ Totenstille in der Nase, alle warten darauf was jetzt passiert. Und tatsächlich, ein Taschentuch nähert sich Tom’s Nase. FESTHAAAALTEN. Mist, für sein Alter kann Tom ja schon recht gut schnauben. Einige von uns hat es erwischt und ich sehe sie mit dem Taschentuch entschwinden. Adieu. Doch kurz darauf kommt das Taschentuch wieder um die Nase draussen noch mal abzureiben. Dabei schaffen es wieder ein paar zurück auf die Nase. Tom’s Mama wirft das Taschentuch direkt in die Toilette und wäscht sich und Tom die Hände. Mist, die Frau hat’s drauf, ein Profi. Ich muss mich in Acht nehmen und mir ganz genau überlegen wohin die Reise heute noch für mich gehen soll. Ich sollte auf jeden Fall versuchen nicht bei seiner Mama zu landen. Bleibt die Hoffnung auf Geschwisterkinder oder den Vater, zur Not bleibe ich bei Tom. Langfristig kann ich hier aber nichts mehr ausrichten. Im Grunde wird es jetzt immer gefährlicher bei Tom. Sobald die Mutter spitz kriegt, daß er krank ist, wird sie ihm Medikamente geben. Das ist ziemlich unfair. Gegen einige davon können wir uns zwar mittlerweile ganz gut wehren, lieber aber mal nicht drauf ankommen lassen. Und im Grunde entspricht es auch gar nicht meinem Naturell hier zu bleiben. Denn wir Bakterien sind Reisende, uns zieht es immer weiter.

Ätzend diese Mutter, sie ist wirklich die Pest. Wir haben doch gerade erst im Kindergarten die Hände gewaschen. Jetzt kommen wir nach Hause und schon wieder soll Tom die Hände waschen. Also man kann es wirklich auch übertreiben. Auf den Händen ist mittlerweile nicht mehr viel übrig von uns. Da kommt plötzlich ein Riesen-Sturm auf. Tom muss niesen. Und das während dem Hände waschen. Ich bin so überrascht, daß ich mich nicht mehr rechtzeitig festhalten kann und werde auf den Wasserhahn geschleudert. Glück im Unglück, ich bin auf dem Hebel gelandet. Den wird bald wieder jemand anfassen. Ich muss nur darauf achten erst auf der Hand zu landen, nachdem sie abgewaschen wurde. Also jetzt, volle Konzentration auf meine Ziele: Nicht zu Tom’s Mama und nur aufspringen, wenn der Wasserhahn schon eine Weile läuft. Denn dann sollte das Hände waschen schon passiert sein. Das Licht geht aus und ich muss mich jetzt erst mal auf Warten einstellen. Mindestens mal bis der nächste zum Hände waschen kommt. Ich schaue mich um und entdecke die Toilette. Das ist gut. Denn so kommt öfter mal jemand vorbei und es erhöht die Chance seinen Gastgeber zu wechseln. Wie auch immer, hilft mir in meiner aktuellen Situation auf dem Wasserhebel auch nicht. Jetzt heisst es Geduld haben und warten um dann im richtigen Moment topfit zu sein.

Plötzlich geht das Licht wieder an und ein großer Mann kommt rein. Das muss wohl Tom’s Vater sein. Klodeckel hoch und mit raumgreifendem Strahl erst mal Wasser lassen. Anschließend spülen. Natürlich mit der Hand die gerade noch die Richtung vorgegeben hat. Tja, so sind sie die Männer. Aber sei’s drum, ist ja auch eine gute Möglichkeit den Gastgeber zu wechseln. Ohne die Führungs-Hand zu ändern (schließlich ist Mann Rechtshänder) stellt Tom’s Vater das Wasser an und, yesss, ich sitze noch auf dem Hebel. Jetzt wird es heiß, der nächste Handgriff muss sitzen. Der Vater ist mit Sicherheit ein besserer Gastgeber als die Mutter. Beim kleinen Tom habe ich mich ja schon ausgetobt und ewig will ich hier auch nicht auf der Toilette rum hängen. Also, das muss jetzt klappen. Es fühlt sich an wie Zeitlupe als diese große, männliche Hand auf mich zusteuert. Oh, das sieht nicht gut aus, so greifst Du an mir vorbei. Ein bisschen mehr nach rechts bitte. Bitteeee. In letztem Moment ändert sich tatsächlich die Richtung zu meinen Gunsten und ich schaffe es. Mein Glückstag. Vater, ich gehöre Dir, und Du mir. Ich kann gar nicht so schnell schauen wie ich mit der Hand direkt auf die Nase gesetzt werde. Mir ist ganz schwindlig vor Glück und ich muss jetzt erst mal in Ruhe durchschnaufen.

Der Papa geht mit mir direkt ins Kinderzimmer. Dort sitzt Tom auf dem Fußboden und vor ihm ein kleineres Kind, vielleicht 1 Jahr alt. Scheinbar ist jetzt der Papa dran, mal auf die Kinder aufzupassen und so wie es aussieht sind es zwei Kinder. Die spielen nicht wirklich zusammen. Vielmehr ist der Vater das verbindende Glied. Tom baut etwas aus Lego auf und sein kleiner Bruder zerstört es wieder. Tom wischt sich mit der rechten Hand die Nase ab und jetzt wird es unübersichtlich. Binnen weniger Sekunden verteilen sich meine Familienmitglieder von Tom’s Hand auf allen Legosteinen. Der kleine Bruder schnappt sich diese und steckt sich jeden einzelnen in den Mund. Schließlich ist nicht klar ob jeder gleich schmeckt. Binnen Minuten fühle ich mich wie im Morgenkreis. Egal wo ich hingucke, meine Familie ist schon da. Herrlich, das ging diesmal ja wirklich schnell. Zuviel Glück macht unaufmerksam und so kriege ich leider zu spät mit, wie der Vater sich ein Taschentuch zurecht zieht und es zur Nase führt. Ich kann mich nicht mehr rechtzeitig festhalten und zack lande ich in einem extrem verkrusteten und mit Sicherheit auch schon mehrmals benutzten Taschentuch. Also bei so wenig Hygiene muss selbst ich den Kopf schütteln. Als hätte er es gehört erhebt sich der Vater und läuft geradewegs auf die Toilette zu und schmeisst mich samt dem Taschentuch hinein. Er spült aber nicht. Deswegen hänge ich jetzt hier im Siff rum und warte sehenden Auges auf meinen Untergang. Aber glaubt mir, ich komme wieder. Mein Ende in dieser Familie habe ich mir zwar durchaus anders vorgestellt aber ich kann mir sicher sein, daß sie noch eine Weile an mich denken werden. Und schließlich bin ich ja auch nicht alleine gekommen, wofür hat man denn Familie….