Kind oder Karriere? Vor dieser Frage stehen alle Eltern irgendwann einmal, und wahrscheinlich nicht nur einmal. Dabei muss es nicht immer um große Entscheidungen gehen. Vielmehr fragt man sich das ja auch schon oft im Alltag. Wenn man die Wahl hat das Kind früher aus der Krippe zu holen oder doch noch einen Termin auf der Arbeit wahr zu nehmen. Oder man entscheidet sich dafür sein Kind eine CD anhören oder einen Film schauen zu lassen und man selbst verschickt noch kurz diese wichtige Mail. Im Einzelnen keine gravierenden Entscheidungen gegen das Kind. Im Regelfall nur die im Moment notwendige und oft auch richtige Priorität. Sie könnte genau so gut anders herum ausfallen und auch dann nicht gleich das Karriere-Aus nach sich ziehen.

Die Entscheidung für oder gegen eine längere Elternzeit war für mich allerdings eine deutlich größere Entscheidung. Man entscheidet sich nicht leichtfertig dafür mehrere Monate in Elternzeit zu gehen und sich in dieser Zeit von der Arbeit fern zu halten. Auch wenn diese Entscheidung aus vielen persönlichen Gründen auf der Hand liegen mag. Es können genau so gut unendlich viele Gründe dagegen sprechen. Denn auch heute suggeriert einem das berufliche und gesellschaftliche Umfeld, daß es nur Kind oder Karriere geben kann. Beides ist zu viel verlangt, war ja früher auch nicht so. Ist die Entscheidung für das Kind und für eine Auszeit also die Entscheidung gegen die Karriere? Das entspricht nicht meinem Gefühl und ich konnte es nicht einfach so akzeptieren.

Aber was entspricht denn meinem Gefühl? Warum in Elternzeit gehen und was genau möchte ich damit denn eigentlich erreichen? Im Grunde genommen war ich nach der Geburt (die Elternzeit betreffend) in einer ähnlichen Situation wie vor der Geburt (das Kinder kriegen betreffend). Überfordert durch eine völlig neue und unbekannte Situation. Man muss zu einer Entscheidung kommen, ohne ihre genauen Auswirkungen zu kennen. Diese ergeben sich schließlich erst in der Zukunft. Und Zukunft ist das, was noch nicht passiert ist. Im Arbeitsalltag als Projektleiter muss ich sehr häufig Entscheidungen treffen, deren Auswirkungen ich nicht komplett, mitunter so gut wie gar nicht einschätzen kann. Für mich lag also der Versuch nahe das Thema Elternzeit als eine Art Projekt zu betrachten und meiner fehlenden Fähigkeit in die Zukunft zu schauen durch eine Art Risiko-Management zu begegnen. Das heisst welche Risiken gefährden meine Projekt-Ziele? Und wie kann ich deren Eintreten entweder komplett verhindern oder zumindest ihre Eintrittswahrscheinlichkeit stark reduzieren?

Um Risiken benennen und minimieren zu können musste ich mir erstmal klar werden über meine Projekt-Ziele. Eine Frage, die im Nachhinein schwieriger war als gedacht, denn ich habe sehr lange über eine sinnvolle Antwort darauf nachgedacht. Letztendlich habe ich an meine Elternzeit vor allem zwei für mich wesentliche Ziele geknüpft:

  1. Familie: Commitment zu meiner Familie und dadurch Stärkung der Beziehung zu meiner Frau und meinen Söhnen.
  2. Karriere: Kein für jeden offensichtlicher Abbruch meiner Karriere durch die Tatsache Elternzeit zu nehmen.

Die Familie war für mich das wichtigste Ziel, daher steht es auch auf Platz 1. Klingt irgendwie offensichtlich, muss jedoch nicht immer und für jeden das gleiche beuteten. Viele wollen vielleicht einfach nur mehr Zeit mit den Kindern und der Frau verbringen. Das war bei mir auch ein wichtiger Aspekt. Noch wichtiger war es mir jedoch ein Zeichen zu setzen. Ich war und bin ein Mensch, dem sein Beruf und seine Karriere sehr wichtig ist. Und als dieser wollte ich das Zeichen an meine Kinder und auch vor allem an meine Frau geben, daß meine Familie mir wichtig genug ist, eine Entscheidung gegen diese ursprünglich vorherrschende Karriere-Orientierung zu treffen.

Aber wie hat dieses Commitment in meiner ganz persönlichen Lebens-Situation auszusehen? Und zwar um als dieses auch von meiner Familie wahr genommen zu werden. Das heisst um das Risiko zu minimieren, das Ziel erst gar nicht zu erreichen. Der eine Teil davon war eine Aufteilung der Elterngeld-Monate. Jeder 50% beziehungsweise 7 Monate. Um klar zu machen, daß wir die Verantwortung aufteilen. Der zweite wichtige Teil war diese 7 Monate dann auch Vollzeit für die Familie zu investieren. Und eben nicht mit Teilzeitmodellen zu jonglieren, die einen gedanklich doch wieder viel woanders sein lassen. Warum glaubte und glaube ich durch diese Entscheidungen das angestrebte Commitment setzen zu können? Ganz einfach. Weil diese zwei Punkte auch immer genau die Themen waren, die ich nur allzu gerne nutzte um vielleicht doch noch mehr Zeit für den Beruf raus zu schlagen. „Wenn ich nur 2 Monate Elternzeit mache und die auch noch aufteile, dann kann das doch keine Auswirkung auf meine Karriere haben. Macht doch mittlerweile jeder. Ok, dann mache ich mehr, aber dann vielleicht in Teilzeit. Das zeigt, daß ich trotzdem für meinen Job brenne“. Und so weiter. Solche und andere Gedanken gingen mir tatsächlich durch den Kopf und machten mir die Entscheidung schwer. Und daher glaube ich auch, daß meine Familie die Entscheidung als Commitment akzeptieren kann. In meinem Fall. In anderen Familien-Konstellationen kann das ganz anders aussehen.

Das zweite Ziel betrifft die Karriere. Weil die berufliche Karriere wichtig für mich war und auch immer noch ist. Ich kam zunächst zwangsläufig zu der Frage, was Karriere eigentlich genau ist? Wikipedia definiert: „Umgangssprachlich bezeichnet der Begriff in der Regel einen beruflichen Aufstieg (einen Weg nach oben), d. h., der Begriff Karriere wird häufig verbunden mit Veränderung der Qualifikation und Dienststellung sowie einem wirtschaftlichen und / oder sozialem Aufstieg.„. Karriere ist also im Grunde meßbar. Je steiler der Aufstieg, desto größer die Karriere. Soweit nicht wirklich was Neues. Greifbar wird es jedoch erst, wenn ich es in Relation zu meiner persönlichen Situation setze. Und da wird die Definition des Begriffes zum Einen sehr subjektiv und kann sich zum Anderen auch je nach Lebens-Situation ändern. Dabei kann ich nicht für andere sprechen. Aber bei mir war der Begriff Karriere als Kinderloser deutlich absoluter als er es heute ist. Als Kinderloser war die Karriere der zentrale Bestandteil meines Lebens. Ich war klar auf Wikipedia’s Spur immer nach Verbesserung und sichtbarem Aufstieg strebend. Als Vater ist Karriere weiter Bestandteil meines Handelns, mittlerweile jedoch ein wenig dezentriert. Aber entscheiden zwischen Kind oder Karriere? So digital kann ich das trotzdem nicht. Mir ist beides wichtig und deswegen kristallisierte sich für mich eine sehr persönliche Definition von Karriere heraus: Mir ist es wichtig Spaß an meiner Arbeit zu haben und dafür benötige ich sich ändernde (idealerweise anspruchsvoller werdende) Aufgaben, sowie externe Anerkennung meiner Leistung. Die Entscheidung, mich für meine Kinder zu engagieren, ändert für mich nichts an dieser Einstellung und ist keine Entscheidung gegen den Beruf oder die Karriere. Daß sich meine Karriere durch meine Kinder verändert ist für mich zwar vollkommen in Ordnung. Dies aber nur solange ich das Gefühl habe, daß der platte Grund dafür nicht einfach der ist, daß ich mit einer Elternzeit ja das klare Signal gegeben habe, daß mir mein Beruf halt einfach nicht so wichtig ist. Oder es ja auf der Hand liegt, daß ich nun als Vater nicht mehr die gleiche Arbeitsleistung bringen kann. Das kann so sein, muss es aber nicht. Vielleicht ändern sich nur Zeit und Ort an denen die Arbeit verrichtet wird. Am Ende ist Leistung Arbeit, bezogen auf die dafür benötigte Zeit. Und eines hat sich bei mir mit Kindern definitiv auch geändert: Die Zeit, die ich im Büro bin, nutze ich viel effizienter als vorher. Das allerdings ist nur schwer messbar, weswegen nach meiner Erfahrung in der Regel weiterhin die Präsenzzeit als wesentliche Messung für Leistung verwendet wird. Und sei es nur unterbewusst, weil es so viel einfacher ist.

Wie kann ich aber nun das Risiko minimieren, durch eine Elternzeit bzw. mein Engagement für die Familie für weiterführende Aufgaben aussortiert zu werden? Ich glaube, daß die Antwort auf diese Frage zum einen sehr stark vom Arbeitgeber aber auch von einem selbst abhängt.

Der Arbeitgeber ist das Unternehmen, für welches man arbeitet. Vor allem ist es jedoch der direkte Vorgesetzte. Denn selbst wenn ein Unternehmen Familienfreundlichkeit proklamiert, der direkte Vorgesetzte kann trotzdem sehr wenig davon halten. Das kann er böse meinen, muss er aber gar nicht. Nach meiner Erfahrung reicht es im Grunde schon aus gedanklich sehr weit weg von dem Thema „kleine Kinder haben“ zu sein. Sei es weil man selbst keine Kinder hat oder auch weil die Geburt der eigenen Kinder schon zu lange her ist. Für den Vorgesetzten ist eine Elternzeit immer Aufwand und wer freut sich über zusätzliche Arbeit? Man kann als Mann seine Elternzeit 6 Wochen vor ihrem Beginn ankündigen (Frauen fällt eine solch lange Verschleierung naturgemäß schwerer). Ich bin selbst Vorgesetzter und habe daher viel Verständnis dafür nicht mit Euphorie darauf reagieren zu können, daß ein wichtiger Mitarbeiter mir erklärt in 6 Wochen für 6 Monate am Stück abwesend zu sein. Das zu organisieren ist extrem aufwändig, wenn nicht gar unmöglich. Je mehr Zeit man noch hat, desto leichter tut man sich mit der Organisation der Abwesenheit. Trotzdem neigt man als Vorgesetzter verständlicherweise dazu, vor allem die mit einer Elternzeit einhergehenden Probleme zu sehen. Unter anderem daraus entsteht eine erste Reaktion und diese sollte man in seinem Risiko-Management berücksichtigen (an der Stelle kann es auch helfen sich einmal folgende Frage zu stellen: „Möchte ich wirklich, daß mein Chef sich darüber freut, daß ich in Elternzeit gehe?“). In meinem Fall war mir klar, daß keiner begeistert reagieren wird auf meine Ankündigung der Elternzeit (zum Glück). Aus diesem Grund habe ich meinen Vorgesetzten sehr früh in Kenntnis gesetzt. Ungefähr ein halbes Jahr vorher. In meinem Fall habe ich das so gemacht, daß ich einen Elternzeit-Monat deutlich vorgezogen habe und die restlichen 6 zum gleichen Zeitpunkt beantragt habe. Dadurch wollte ich einerseits selbst genug Zeit haben handeln zu können. Andererseits wollte ich die Chance haben den Prozess zwischen der Information bis hin zur letztendlichen Realisierung bei allen Beteiligten mit begleiten zu können. Denn ich rechnete fest mit Missverständnissen der Art, wie ich sie eingangs schilderte: Das ist eine Entscheidung gegen …! Diesen Missverständnissen wollte ich argumentativ entgegen treten können und davon überzeugen, daß es eine Entscheidung für … ist. Ich habe das halbe Jahr Vorlauf sehr gut brauchen können.

Der zweite wichtige Teil ist man selbst. In vielerlei Hinsicht. Man wurde lange im beruflichen Umfeld sozialisiert. Ein schlechtes Gewissen, weil man entgegen der Gewohnheiten früher geht? Das kommt doch vielen bekannt vor. Auch beim Thema Elternzeit kommt das schlechte Gewissen hoch und man kommt sich selbst in die Quere. Schließlich ist man Ursache von Umständen und Problemen, das ist keiner gern. Das muss einem bewusst sein und man sollte eine Meinung dazu haben, um damit umzugehen. Denn eine Elternzeit ankündigen und nach dem ersten Gespräch sagen, war wohl doch keine so gute Idee? Fast noch schlimmer, als das Ganze dann hart durchzuziehen. Auf der anderen Seite ist es im ersten Gespräch auch wichtig, einigermaßen offen zu sein. Vielleicht kommen ja Ideen hoch, die man selbst noch gar nicht hatte. In diesem Zusammenhang empfiehlt es sich eine klare Vorstellung mitzubringen, welche Angebote man in der Diskussion bereit wäre zu machen. Und welche eben nicht. Ist Teilzeit zum Beispiel eine Option, wenn ja wie und in welchem Umfang? Neben diesem Aspekt hilft es außerdem, eine grobe Vorstellung davon zu haben, wo man nach der Elternzeit hin will. Das trifft auf die Frage Teilzeit oder Vollzeit zu. Aber auch darauf ob man auf die gleiche Stelle zurück will. Wie wichtig ist einem das? Eine ähnliche Stelle in einem ähnlichen Bereich wäre vielleicht auch in Ordnung oder mitunter ist die Elternzeit-Pause ein willkommener Anlass sich beruflich zu verändern. Oder was möchte man bei der Rückkehr gegebenenfalls auch auf jeden Fall verhindern? In meinem ganz konkreten Fall, wollte ich 6 Monate in Elternzeit gehen und danach idealerweise auf die gleiche Aufgabe als Vollzeit-Kraft zurück kehren. Diesen Wunsch habe ich auch genau so formuliert, mit dem Nebensatz, die Offenheit zu besitzen, andere Aufgaben zu übernehmen. Absolut verhindern wollte ich jedoch, daß diese gegebenenfalls neuen Aufgaben jedem im Unternehmen klar machten, daß ich besser doch keine Elternzeit genommen hätte. Um das zu erreichen glaubte ich, den Umgang mit meiner Elternzeit sehr eigeninitiativ gestalten zu müssen. Ich sagte mir: Wenn Du jemand zwingst eine Arbeit zu tun, die er eigentlich gar nicht tun will (also den Umgang mit Deiner Abwesenheit organisieren), dann wird er es nicht unbedingt in Deinem Sinne tun wollen. Also bot ich von Anfang an meine Unterstützung an, brachte Vorschläge ein und bot an diese Vorschläge zu prüfen und weiter zu verfolgen. Das tat ich dann auch. Zu Beginn wollte ich natürlich nur sehr wenige über meine Pläne informieren. Vielmehr sollte die breite Bekanntmachung meiner Elternzeit erst stattfinden, sobald klar wäre wie damit umgegangen wird. Trotzdem würde ich jedem raten, die Personen einzubinden, von denen man glaubt, daß sie helfen können. Sei es weil sie das Thema positiv bewerben, wenn man mal gerade nicht im Gespräch beteiligt ist. Oder weil sie, aufgrund ihrer Position im Unternehmen, Ideen beisteuern können, die auf der Suche nach einer Lösung helfen. Lieber also mal eine Person mehr einbinden als eine zu wenig…

In 2 Wochen endet nun meine Elternzeit und ich stelle mir die Frage, ob mir die ganzen Gedanken und Aktivitäten geholfen haben? Meine frühe Ankündigung der Auszeit war in jedem Fall Gold wert. Denn wie erwartet war ich in der verbleibenden Zeit sehr aktiv und die wesentliche treibende Kraft hinter der Suche nach einer Lösung in meinem Sinne. Diese wurde mit einem Vertreter gefunden, der sich bereit erklärte meine Aufgabe für 6 Monate zu übernehmen. Ohne selbst ganz genau zu wissen, was er danach im Detail machen würde. Davor habe ich höchsten Respekt. Denn er war neben vielen Gesprächen am Ende der Schlüssel zum Erfolg. Was heißt Erfolg in meinem Fall? Ich werde meine alte Aufgabe wieder übernehmen und mein Vertreter wird sukzessive auf eine neue, adäquate Aufgabe wechseln. Das glaube ich aktuell schon ohne allzu großes Risiko sagen zu können. Auch wenn mir der Start erst noch bevor steht und ich dann erst in ein paar Monaten Genaueres sagen kann. Zumindest habe ich im Moment keine Angst davor, daß meine Elternzeit mir beruflich geschadet hat. Unter anderem auch wegen meinem bewussten Risiko-Management. Und meine privaten Ziele? Sehe ich ebenfalls voll erreicht. Ich konnte sehr viele schöne Momente mit meinen Kindern und meiner Frau geniessen. Mein Blick auf die Situation der Person, die zu Hause ist und sich um Kinder und Haushalt kümmert hat sich gewandelt und erleichtert mir an vielen Stellen das Verständnis für meine Frau. Und meiner Frau geht es da tatsächlich ähnlich. Weil sich das Leben mit Kindern jedoch ständig ändert und man sich immer wieder neu darauf einstellen muss zehre ich vor allem von einem: der schönen Gewissheit etwas getan zu haben, was ich nicht bereuen werde.