Elternzeit? Gab’s doch früher auch nicht …

Wie wahrscheinlich viele bin ich noch in einer klassischen Familienkonstellation aufgewachsen. So wie es zu meiner Kindheit einfach üblich war. Mein Vater hat gearbeitet und Karriere gemacht und meine Mutter war Vollzeit zu Hause und hat sich um mich und meine Geschwister gekümmert. „Damals war die Welt noch in Ordnung“, möchte man denken. Und tatsächlich hört man diesen Spruch ab und zu wenn man über Generationsgrenzen hinweg das Thema Elternzeit diskutiert. Primär natürlich von männlichen Gesprächspartnern. Aber auch von Frauen, frei nach dem Motto: „Es hat uns ja auch nicht geschadet“. Aber war die Welt damals wirklich in Ordnung? Und was früher gut war, ist es das heute auch noch?

Zurückblickend kann ich an meiner Kindheit absolut nichts schlechtes finden. Lediglich, daß ich immer wieder das Gefühl hatte, daß meiner Mutter eine frühe Wiederaufnahme ihres Berufes gut getan hätte. Denn großes Lob und damit einhergehende Bestätigung bringt der Job der Hausfrau nun mal einfach nicht mit sich. Auch wenn ich zu keinem Zeitpunkt das Gefühl hatte, daß meine Mutter oder auch mein Vater ein Problem mit der Konstellation hatten. Ich habe mir immer gewünscht das in meiner Beziehung und Familie zu ändern. Mir war es immer wichtig meiner Frau zu ermöglichen ihren Beruf zu leben und somit auch auf andere Dinge stolz sein zu können, als die Familie. Erst dann, so meine Überzeugung, kann man langfristig zueinander aufschauen, eine wesentliche Randbedingung für eine funktionierende Partnerschaft. Auch zunächst einmal unabhängig von dem Begriff Karriere. Das allein jedoch hat bei mir erstmal nicht dazu geführt meine eigene Karriere-Planung durch ein Kind unterbrochen zu sehen. Vielmehr bin ich immer davon ausgegangen, daß meine Kinder mehr Zeit in fremder Betreuung verbringen würden, als das bei mir der Fall war. Mit offensichtlichen Nachteilen, aber halt auch dem Vorteil, den eine berufstätige Mutter mit sich bringt.

Wenn dann ein Kind unterwegs ist ändern sich die Gedanken ein wenig. Bei mir war das so, aber auch bei meiner Frau. Unsere Gespräche wurden auf einmal so seltsam konkret. Plötzlich spielen Themen eine Rolle wie Organisation und Planung, die früher vor allem bei der Wohnungssuche, der Hochzeit oder dem gemeinsamen Urlaub relevant waren. Und ob es dann am Ende Ibiza oder Mallorca ist spielt ein paar Jahre später dann ja auch keine Rolle mehr. Auf einmal geht es um Entscheidungen, die sehr viel mehr betreffen. Mir wurde sukzessive klar, daß der eingangs formulierte Wunsch eine voll im Beruf stehende Frau zu heiraten gerade beim Thema Kinder mitnichten von selbst und schon gar nicht ohne Aufwand erfüllt bleibt. Egal wie man sich am Ende organisiert, man muss es tun, gemeinsam. Denn Kinder brauchen Eltern, auf die sie sich verlassen können. Es beginnt also eine Diskussion in der man sich wesentlich detaillierter mit der Frage auseinandersetzt, wie so ein Kind aufwächst und was es wohl für Bedürfnisse haben könnte. Es erscheinen Fragezeichen hinter den Sätzen: „Wer kümmert sich? Und wie teilen wir das gerecht auf?“.

Gerecht ist ein Wort, welches ich im Zusammenhang mit der Kinderbetreuung nur schwer in den Mund nehmen kann. Zwar bin ich nicht der Meinung, daß der Mann erst einmal ausgleichende Gerechtigkeit für Schwangerschaft und Geburt schaffen muss. Ist das Kind aber mal da, dann halte ich es nur für gerecht bereit zu sein, seinen Anteil einzubringen. Das ist kein Plädoyer dafür ab sofort alle Väter zwangsweise nach Hause zu schicken. Wäre auch scheinheilig, schließlich bin ich diesbezüglich nun auch kein leuchtendes Beispiel. Noch einmal genauer darüber nachzudenken schadet hingegen auch nicht. In Diskussionen mit Kollegen, Freunden oder Bekannten habe ich festgestellt, daß Männer in der Regel erstmal davon ausgehen, daß die Frau sich um das Kind kümmert. Ich nehme mich da nicht aus und fühle mich gut aufgehoben im Mainstream. Schließlich kann man es sich nicht erlauben vom Beruf zu pausieren, zu groß das Risiko für die Karriere. Für Frauen ist das doch wesentlich einfacher. Diese Gedanken sind schnell formuliert. Auch von Männern, bei denen ich mir berechtigterweise einbilde fragen zu dürfen: „Welche Karriere?“. Aber gut, die Definition des Begriffs Karriere ist sicherlich subjektiv. Frauen hingegen machen es den Männern in diesen Diskussionen auch oft noch sehr leicht. Wie oft habe ich es erlebt, daß eine Frau unisono die Aussage ihres Mannes wiederholt und um Verständnis bittet, daß der Mann ja im Moment nur schwer pausieren kann. Wie soll das auch gehen? Ja wie denn bloß?

Sicher, es gibt die Beziehungen, die sich nichts sehnlicher wünschen als die klassische Aufteilung vorzunehmen: Mann arbeitet und macht Karriere, Frau ist zu Hause bei den Kindern. Ich unterstelle jedoch, daß es auch sehr viele Beziehungen gibt in denen die Frau am Ende aufgrund der entstandenen Umstände zu Hause bleibt: „Du bist ja jetzt sowieso ausgestiegen und zwei Karrieren muss man ja auch nicht zerstören!“. Solange wir schwerpunktmäßig so denken wird es nach meinem Verständnis höchstwahrscheinlich keine Gleichberechtigung bzw. Fairness bei der Betreuung der Kinder geben. Denn eins ist klar: zumindest zur Geburt muss die Frau mal kurz bei einer Hebamme vorbei schauen. Und was wenn das ausgerechnet an einem Arbeitstag ist? „Hmm, blöd, aber im Grunde bist Du ja jetzt sowieso schon ausgestiegen…“.

Aber Hilfe naht, man muss sich ja nicht immer selbst um das Kind kümmern. Die Frage nach Fremdbetreuung kommt zwangsläufig auf den Tisch und jeder beantwortet sie anders. Keine dieser Antworten möchte ich bewerten. Vielmehr schließt es sich für mich aus zu glauben, das tun zu dürfen. Mir ist keine exakte Definition für die in jeder Situation richtige Kinderbetreuung bekannt. Wahrscheinlich weil in jedem Fall das perfekte Modell ein anderes ist. Es muss für die betroffene Familie passen, nicht mehr und nicht weniger. Für mich und meine Frau war klar, daß wir mit Betreuung frühestens anfangen, sobald unser Sohn laufen kann. Für manche ist auch das noch viel zu früh, für uns ist es der Zeitpunkt ab dem wir uns damit anfreunden können. So entsteht relativ früh für beide wieder die Möglichkeit dem Beruf nachzugehen. In welchem Umfang auch immer. Am Ende, wie ich finde, auch zum Wohle des Kindes. Denn schließlich profitiert es davon, wenn beide Eltern ihr eigenes Leben haben. Die Gefahr wird reduziert, das Kind zu sehr in den Mittelpunkt zu stellen. Das ist meine ganz subjektive Sicht auf die Dinge. Doch egal wie die Antwort auf die Betreuungsfrage auch immer ausfällt, die wenigsten Kinder werden rund um die Uhr betreut. Sie müssen morgens gebracht und mittags bzw. Nachmittags abgeholt werden. Dies meist zu Zeiten, die nicht in jedes Arbeitgeber-Korsett passen. Wie teilt man das also auf? Am Besten fair… Das bedeutet in den meisten mir bekannten Fällen, daß derjenige, der sich sowieso schon um die Kinder kümmert den größeren Teil übernimmt. Ist das dann fair? Führt es doch im Grunde nur immer weiter dazu, daß die Karriere des weniger Leid tragenden nicht auch noch geopfert werden kann.

Bei mir hat die Hol- und Bring-Aufteilung vor allem dazu geführt mich zu fragen, wieviel und welche Zeit ich auf der Arbeit und welche Zeit ich zu Hause mit meiner Familie verbringen will. Eingependelt hat sich dann bei uns, daß ich mich morgens um die Kinder kümmere und den Großen auf dem Weg zur Arbeit in den Kindergarten bringe. Abends ist das gemeinsame Abendessen gesetzt und damit klare Regel um 18:00 zu Hause zu sein. An zwei Tagen ändert sich der Rhythmus, da ich die Kinder um 16:00 aus der Betreuung abhole. An diesen Tagen starte ich um 5:30 morgens zu arbeiten und gehe um 15:15. Unangebrachte Kommentare zum frühen Aufbrechen werden mit der Zeit weniger. Und interessanterweise hat mir diese Aufteilung arbeitstechnisch sogar große Vorteile gebracht. Auf einmal hatte ich morgens vor 08:00 wieder Zeit bestimmte Dinge am Stück zu bearbeiten. Sinnvoll ist es allerdings die Tage konstant zu halten, an denen man früh kommt und früh geht. Bei mir waren es Donnerstag und Freitag, auf die sich alle dann irgendwann eingestellt hatten. Sogar auch externe Kunden konnten irgendwann gut damit umgehen.

Zusätzlich zu dieser Aufteilung habe ich bei unserem zweiten Sohn die Hälfte der Elterngeldmonate genommen. Trotzdem habe ich keine Gerechtigkeit bei dem Thema Kinder-Betreuung schaffen können. Vielleicht nicht mehr schaffen können. Zumindest keine die mein mathematisches Verständnis von gerecht oder fair zufrieden stellen würde. Vielmehr ist es so, daß die Karriere-Schere zwangsläufig aufgeht zwischen dem, der vor allem arbeitet und dem, der vor allem für die Kinder da ist. Und diese Schere schließt sich selten wieder komplett. Aber ich habe es irgendwann mit meiner Frau zusammen geschafft in den meisten Situationen die Antwort auf die Frage „Wer kümmert sich in dem Fall?“ nicht vorweg zu nehmen. Und es fühlt sich so an, daß dies in Summe jedem in unserer kleinen Familie gerecht wird. Nicht jeder ist immer glücklich, aber wir teilen sozusagen das Glück untereinander auf. Und vielleicht geht es am Ende auch vor allem darum. Und zu dieser Situation hat die Elternzeit sehr viel beigetragen.

Für mich heisst das, daß die Welt heute genau so in Ordnung ist wie früher. Oder sein kann. Zumindest in den Familien-Konstellationen, in denen sich jeder mit der gewählten Aufteilung der Kinder-Erziehung und -Betreuung langfristig wohl fühlt. Und die Elternzeit ist einfach ein zusätzliches Instrument, eine für sich funktionierende Konstellation zu finden. Nimmt man jedoch eher die gesellschaftliche Entwicklung in den Blick, so bleibt die Frage was wir in Summe tatsächlich erreichen wollen. Schließlich wird viel über Gleichberechtigung, Frauenquote und so weiter diskutiert. Wenn wir also irgendwann einmal nicht mit großer Wahrscheinlichkeit voraussagen können wollen ob die Frau oder der Mann für die Kinder da ist, dann wird sich noch einiges bewegen müssen. Denn erst dann können wir auch nicht mehr mit hoher Wahrscheinlichkeit voraussagen, ob Mann, Frau oder gar beide Karriere machen beziehungsweise machen wollen.